
Dein Brief war mir sehr
willkommen, leidet man doch durch
den unterbrochenen Contact im Sommer
immer etwas Mangel. Da gibt es keine
Richard'schen Jausenbesuche und keine
Familienzusammenkünfte mit Ausnahme
der wenigen stets allzu rasch verfliegenden
Tage, die Ihr in der Brühl
Brühl bezeichnet ein Tal bei Mödling, das unter anderem aus den Ortschaften Voderbrühl
und Hinterbrühl besteht.
zubringt.
Es kommt mir vor, als ob Ludwig auch
unter unserer Entfernung von Wien litte
denn ihm ist ja das Herauskommen un-
bequem und wir verlieren dabei zu sehr
die Fühlung mit ihm. Leider ist er

noch dazu gegenwärtig seit Mittwoch
oder Donnerstag voriger Woche, also seit
8 Tagen von Wien abwesend und nach
Berlin abgereist. Keine noch so karge
Ansichtskarte hat uns inzwischen von
seiner Reise, seinem Aufenthalte etwas
gemeldet; wir wissen nicht in welchem
Hôtel er ist, noch wann er zurückzu-
kommen gedenkt, wiewohl ich ihn sehr
bat, mir zu schreiben wo er abgestiegen
sein würde. Es ist mir schon ordentlich
bang um ihn. Wenn er sich nur an dem
Sokrates ein Beispiel nehmen möchte, wenig-
stens für eine Zeit lang, um auszuruhen
der die intensive Beschäftigung mit der
Mathematik ungesund hält.
Der 21. Juni naht, es ist der Mitt-

woch der nächsten Woche. Wann kommt
Ihr? Hoffentlich lässt es sich machen,
dass Ihr uns die Freude bereitet.
Wie steht es inzwischen mit Deinen
dienenden Geistern? Bist Du von den
quälendsten Hausfrauensorgen indessen
befreit?
Wisst Ihr auch, dass wir kürzlich
hier ein ganz nettes Erdbeben erlebten?
In der Nacht vom 10. auf den 11. wachte ich
auf, und da war es mir, als ob der Sessel
an meinem Schreibtisch eben zu tanzen
aufhörte; ich schrieb dies nur einer traum=
haften Hallucination zu und schlief sofort
wieder ein. Die nächsten Morgens erinnerte
ich mich jedoch daran und sprach davon,
und da gab es gleich eine Menge anderer,
Leute, die auch Erschütterungen in der Nacht
Commentar, offenbar eine Acquistion aus der Seccession - nicht mein Geschmack!

Ludwig hat uns vor etwa 10 Tagen einen „Klimt" herausgeschickt, ohne jeden
wahrgenommen hatten. Dagegen gibt
is auch solche gesunde Schläfer, die
gar nichts gemerkt haben, so z. B.zum Beispiel die
Mutter und unsere Dienstmädchen,
auch Ilse, natürlich zu ihrem Bedauern,
dass sie nicht recht aufschneiden kann.
wenn man davon redet.
Fräulein Tschampa war vorige
Woche hier. Wir sangen lustig Jodler
zweistimmig. Auch nahmen wir die Jugend-
lieder und die Eugen-Schlachten-Balladen
durch. Es gab einen vergnügten Tag.